Was ist an einer Segelzeit so toll? Warum träume ich von ihr und wünsche sie mir so sehr? Keine Frage, Segeln ist vielschichtig wie kaum eine andere Beschäftigung, Abenteuer, Sport, Sozialerlebnis, Reisen, Natur und Romantik. Und trotzdem begeistert es mich noch mehr als etwa Bergsteigen oder Skitouren abseits gängiger Routen, Segelfliegen, Fallschirmspringen, Paragleiten oder etwa Backpackerabenteuer. Auch all das begeistert, keine Frage und es gibt auch keine Notwendigkeit, das eine mit dem anderen zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen.
Wir haben Sonntag, den 05.04.2020. Die zweite Woche des Corona-Lockdown geht zu Ende. Sonne. Ruhe. Säße ich auf meinem Segelboot in einer Ankerbucht und nicht in meinem Garten, wäre alles perfekt, denke ich. Die Frage drängt sich auf, warum eigentlich? Fixierung auf ein Klischee? Die letzten beiden Wochen war ich alles andere als zum Nichtstun verbannt. Im Gegenteil. Rechtsanwälte werden in Corona-Zeiten zu Krisenmanagern und sind mehr als gefragt. Steuerberater übrigens auch. Ein Bekannter erzählte mir, dass sein Telefon die letzten Tage nicht still gestanden hätte, weil buchstäblich jeder Selbständige und Unternehmer die von der Bundesregierung ausgeloben Krisenzuschüsse beantragen würde. Ausnahmslos jeder und insbesondere auch diejenigen, die keine Nachteile haben sondern womöglich zu den Krisengewinnern gehören. Wie z.B. Verwaltungsgesellschaften oder Rechtsanwälte.
Warum träume ich davon, dieselbe Sonne auf meinem Segelboot anstatt hier im Garten zu genießen? Sicher gibt es ein unterschiedliches Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit. Und zweifellos ist auch die Stimmung und das Idyll des Wassers eine diametral andere als sie der Garten einer Reihenhaussiedlung ausstrahlt. Alles wahr, aber soweit noch immer noch keine Erklärung für meine Sehnsucht. Jeder der ein Boot hat weiß, wie zeit- und arbeitsaufwändig dieses Hobby ist. Und dennoch: Ein Segelboot steht für Einfachheit, Beherrschbarkeit und Unabhängigkeit. Für Mechanik, die nachvollziehbar ist. Z.B. jederzeit austauschbare Leinen, Rollen und Segeltücher anstatt gekapselter High-Tech-Funktionseinheiten, die allenfalls komplett ausgetauscht werden können, wenn überhaupt. Was nicht heute klappt, klappt eben morgen. Unaufgeregtheit, Langsamkeit. Stillstand der Zeit. Nicht zwangsverordnet durch staatliche Corona-Verordnungen, sondern systemimmanent.
Segeln ist für mich simplicity.
Wind bläst oder auch nicht. Alles hat seinen Lauf, mit dem man dennoch ans Ziel kommt. Jeder Gegensand hat seinen festen Platz. Für Überfluss ist kein Raum. Alles, was nicht benötigt wird, wird auf einem Boot zum Hindernis und bei stürmischer See zum Sicherheitsrisiko, weil er im Weg stünde oder durch die Kajüte flöge. “E.g.a.o.” ist eine der wichtigen Fahrtenseglerweisheiten. “Es geht auch ohne.” Auf jedem Segelboot gibt es eine Wartungsliste, eine Liste, was alles zu reparieren und zu tun ist. Sie ist indes geduldig, solange man sie nicht gänzlich aus dem Auge verliert. Es muss schon sehr viel außer Betrieb gehen, bevor ein Segelboot insgesamt fahrt- und damit funktionsuntüchtig wird. Sehr viel. Von dieser Einfachheit, Robustheit und Unaufgeregtheit träume ist. Von der Freiheit, meinen und des Schicksals Rhythmus bewusst zu erleben. Kein immer schneller, immer höher, immer besser. Es gibt nichts, was ich verpassen könnte, wenn ich mich nicht so schnell als möglich darum kümmern würde. Auf Geschwindigkeit kommt es beim Fahrtensegeln nicht an. Es ist völlig egal, ob ich einen Ozean in zwei oder vier Wochen überquere. Segelzeit ist der Traum von Einfachheit, ohne Ballast mit wenigen Dingen, die beherrschbar und genau nötig sind, um sicher und frei zu sein.
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